Checkliste Familienkonferenz 

Wir kennen alle diese Situationen. Es steht eine Veränderung an, ein wichtiges Gespräch sollte geführt werden, aber wir schieben dieses unangenehme Thema vor uns her.

Bei einem wichtigen Gespräch ist es ratsam, sich Unterstützung von einem Mediator oder einem anderen gut geschulten unabhängigen Dritten zu holen. Dieser sorgt für eine gute Gesprächsatmosphäre, bereiten den Raum vor und führt durch das Gespräch. Er unterteilt das Gespräch in verschiedene Phasen und sorgt für eine lösungsorientierte Sprachgestaltung.

In der Praxis habe ich festgestellt, häufig wollen nicht alle Beteiligten eine externe Person einbinden.
Persönlich finde ich das Schade, viel zu oft werde ich zu eskalierten Konflikten geholt, bei denen das „gegenseitige Wohlwollen“ in ein gegenseitigen „Vernichtungskrieg“ umgeschlagen ist. Man spricht von einer „Lose-Lose-Situation“

Um Menschen zu unterstützen, die durch einen Prozess der Klärung gehen wollen oder müssen, habe ich diese Checkliste entworfen. Es soll die Beteiligten helfen, ein erfolgreiches Gespräch zu führen.
Wenn man selbst beteiligt ist, ist es sehr schwer, seine eigenen Emotionen und Wünsche zu formulieren und gleichzeitig den Überblick zu behalten. Wenn sie merken, die Tipps und die Struktur ist nicht mehr hilfreich, sollten sie einen externen Dritten einschalten.

Für ein besseres Verständnis habe ich ein „Geschichte im Hintergrund“ geschrieben. Eine Familie, die durch einen klärenden Prozess geht.

Bereiten sie das Gespräch achtsam vor:

  • Vereinbaren sie einen gemeinsamen Gesprächstermin 
    • Wer soll am Gespräch teilnehmen?
    • Wann soll das Gespräch stattfinden?
    • Wie lange soll das Gespräch maximal dauern?
    • Wo soll das Gespräch stattfinden? (neutraler Raum)
  • Störungen verhindern: 
    • Ist das Handy aus?
    • Sind die Kinder versorgt?
  • Gestalten sie eine gute Atmosphäre 
    • Getränke bereitstellen
    • Zettel und Stift vorbereiten
    • Wo und wie wollen sie sitzen? (Im Kreis oder am Tisch)
    • Fühlt sich Nähe und Distanz stimmig an?
    • Wie ist das Licht, zu hell, zu dunkel oder angenehm
  • Vereinbaren sie Gesprächsregeln. Hier einige Beispiele: 
    • Ich lasse den anderen ausreden und falle ihm nicht ins Wort 
      • TIPP, falls es mal durcheinander geht:
        • Man kann eine Stoppuhr verwenden, und jeder hat eine festgelegte Zeit zum Sprechen
        • Alternativ kann ein „Redestab“ oder eine „Redekugelschreiber“ genutzt werden. Wer den Gegenstand in den Händen hält, spricht, die anderen hören zu.
        • Hat man Einwände oder Gedanken zum Gesagten, kann man diese notieren und versuchen weiter zuhören. Die Notizen werden zu einem späteren Zeitpunkt besprochen
      • Ich spreche in Ich-Botschaften. Ich formuliere meine Wünsche, nicht meine Vorwürfe.
      • Das Gehörte behandeln wir vertraulich
      • Ich bin für mich selbst verantwortlich, das heißt, ich melde meine Bedürfnisse an und benenne Irritationen.
      • Ich arbeite an meiner inneren Bereitschaft neugierig die Perspektive des anderen zu verstehen.

Gut vorbereitet kann das Gespräch beginnen

Es ist sinnvoll, dass Gespräch in Phasen einzuteilen damit man sich anhand der Struktur orientieren kann. Falls ein externer Moderator oder Mediator eingeschaltet wird, würde dieser für Struktur sorgen. Falls es zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht weiter geht, oder die Sachlichkeit verloren geht, hilft es vielleicht, sich nochmal der aktuellen Phase bewusst zu werden, bzw. bewusst in eine andere Phase zu wechseln.

  1. Phase: Sinn: Momentane Befindlichkeit und Situation benennen, Hauptthema rausarbeiten und Meta-Ziel festlegen! 
    • Warum geht es im Kern? Was ist das höhere Ziel? Warum treffen wir uns?
      Dieses Ziel schriftlich fixieren und sichtbar aufhängen.

Beispiel aus der Geschichte (siehe unten):
„Mama und Papa sollen mit unserer Unterstützung so lange wie möglich und vertretbar, in ihrer eigenen Wohnung bleiben können. Wir Kinder wollen helfen und uns willkommen fühlen“

  1. Phase: Themensammlung 
    • Es gibt zu jedem Thema verschiedene Unterthemen, diese sollten in dieser Phase benannt werden, aber noch nicht im Detail besprochen, bzw. gelöst werden.
    • Egal, ob das Thema für alle oder nur für eine Person wichtig ist, wenn es zum eigentlichen Hauptthema gehört, findet es seinen Platz.

Beispiele aus der Geschichte:
- Wie wollen wir kommunizieren.
- Unterstützung Mama
- Patientenverfügung
- Wissen über Demenz

    • Die einzelnen Themen notieren und noch nicht tiefer in die Themen einsteigen.
  1. Phase: Beweggründe und Wünsche ergründen.
    • Ziel dieser Phase ist es nicht, eine Lösung zu finden, Ziel dieser Phase ist es, den anderen in seiner eigenen Wahrheit zu verstehen. Das heißt nicht, dass man einer Meinung sein muss, das heißt nur, dass wir uns bemühen, die Perspektive des anderen einzunehmen.
    • Hierfür werden die Themen aus der Phase 2 sortiert und priorisiert. Man einigt sich, mit welchen Thema man beginnen will. Jeder darf seine Beweggründe und Gedanken zu einem Unterthema sagen.
    • Häufig ist es hilfreich, wenn man „das Gehörte“ vom anderen in eigenen Worten wiedergibt. Dadurch werden Kommunikationsfallen umschifft.
    • Die Teilnehmer entscheiden, ob man danach für ein Unterthema in die Phase 4 wechselt, oder ob mit einem anderen Unterthema weiter gemacht werden soll.
  2. Phase: Kreativer Lösungsfindungsprozess.
    • Es sollen im ersten Schritt möglichst viele Lösungsoptionen gesucht werden. Diese dürfen auch unrealistisch oder überzogen sein. Es geht darum, sich innerlich frei zu schwimmen, um offen für neues zu sein.
    • Im zweiten Schritt darf jeder der Beteiligten die einzelnen Lösungsoption mit „super Idee“, „kann ich mir vorstellen“, „schwer“ oder „Geht für mich auf keinen Fall“ bewerten.
  3. Phase: Verbindliche Vereinbarung.
    • Die gefunden Lösungsoptionen werden in den Alltag übertragen. Das heißt, wer macht was bis wann. Die Einigungen müssen möglichst konkret, messbar und von allen akzeptiert und als fair empfunden sein.
    • Die Einigungen sollten schriftlich fixiert werden.
    • Nochmal einen Blick in die Phase 2, sind für alle Themen abgedeckt, oder fehlt noch was.

Diese mediative Struktur ist nicht starr. Man durchläuft die Phasen, muss aber unter Umständen häufiger in den Phasen wechseln und wieder zurückspringen. Wichtig ist ein Bewusstsein, in welcher Phase man sich gerade befindet. Eventuell muss man zwischendurch nicht darüber sprechen, was man zu besprechen hat, sondern wie man miteinander spricht.

Hierbei den Überblick zu behalten ist sehr schwer. Wenn es den Beteiligten nicht gelingt, sollte es selbstverständlich sein, sich Hilfe zu holen. Bedenke:  Wenn das Auto nicht rund läuft, hat man auch keine Bedenken, einen Mechaniker zu Rate zu holen.

Unsere Kontakte sind unsere Leidenschaft und ein positiver Antrieb für jeden neuen Tag. Sie bringen uns dazu, Herausforderung als Chance zu verstehen und neue Ziele zu erreichen. 

Eine kleine Familiengeschichte:

Diese Geschichte soll dazu dienen, die Checkliste zur Familienkonferenz verständlicher zu machen und zu verstehen, warum eine Struktur und eine Klarheit in einem Familiengespräch wichtig ist. Die Geschichte ist fiktiv, aber könnte genau so passiert sein. Vielleicht kommen ihnen einige Teile unrealistisch für ihre eigene Familie vor, gleichzeitig können diese und andere Teile motivieren, das Familienleben selbst gestalten zu wollen. Die Herausforderungen des Lebens machen uns nicht hilflos, sondern unser fehlender Umgang damit. 
Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.
Peter 75 und Hildegard 67 leben zu zweit in einem Einfamilienhaus in Taufkirchen, bei München. Die Kinder sind schon lange ausgezogen. Der Sohn Michael 37 ist mit Flora verheiratet, die beiden haben zwei Kinder. Michael arbeitet in einem Autohaus und wohnt mit seiner Familie in München. Clara 35, ist alleinstehend und arbeitet und wohnt für ein Bankhaus in Zürich, Stella 28, wohnt in Berlin und versucht als freischaffende Streetart-Fotografin Fuß zu fassen.
Peter hat eine Alzheimer-Demenz. Diese wurde anhand von einer psychometrischen Testung diagnostiziert. Peter lehnt jede weite Untersuchung ab, was für die Familie schwer zu akzeptieren ist. 
Die Familie hatte ein gutes Verhältnis, aber in den letzten Jahren sind alle Familienmitglieder ihren eigenen Weg gegangen, ein Familientreffen mit allen Beteiligten ergab sich nur noch zweimal im Jahr. 
Clara hat einen sehr engen Kontakt zu ihrer Mutter Hildegard. Sie telefonieren mehrmals in der Woche. In diesem Gespräch wird Clara immer bewusster, dass die Mutter durch den ständig wachsenden Druck und den Herausforderungen der Demenz an ihre Grenzen kommt und die Gefahr eines Burnouts sehr konkret wird.
Sie kontaktiert ihre Geschwister und gründet einen Geschwister-WhatsApp-Gruppe. Die Dialoge in dieser Gruppe werden immer unfreundlicher und sind voller Vorwürfe. Ein Kommentar bringt das Fass zum Überlaufen und Stella verlässt die Gruppe. 
Clara ist schockiert, dass die Schwester aus der Gruppe aussteigt. Sie schlägt ein klärendes Gespräch mit einem externen Berater vor. Michael ist nicht bereit, private Belange vor „einem Fremden“ auszureden. Als Kompromiss vereinbart die Geschwister: Wir versuchen ein gemeinsames Gespräch sachlich und wohlwollend zu gestalten, sobald dieses Gespräch nicht mehr zielführend ist, holen wir uns einen Mediator dazu. 
Michael findet im Internet die „Checkliste-Familiengespräch“ und empfindet die Struktur einleuchtend und hilfreich. Aber schon beim ersten Punkt gibt es Diskussion: Wer soll am Gespräch dabei sein?
Stella sagt, der Vater sollte auf jeden Fall dabei sein. Clara ist der Meinung, der Vater ist mit einem „Gruppengespräch“ überfordert. Außerdem will er das Wort Demenz nicht hören und blockt sofort ab. Stella kontert, wir sollten doch mit ihm und nicht über ihn sprechen. Clara: Aber es geht im Moment in erster Linie um unsere Mutter, die muss alles stemmen und kann das nicht mehr lange schaffen. 
Nach einiger Zeit einigen sich die Geschwister: Clara lädt Hildegard zum Gespräch ein. Stella versucht mit Peter im Gespräch zu klären, was seine Wünsche für die Zukunft sind, Michael kümmert sich um einen neutralen Ort und versucht, eine sinnvolle Beschäftigung für Peter in der Zeit des Gespräches zu finden, damit sich auch Hildegard gut auf das Gespräch einlassen kann.  
Ein leerer Stuhl mit Aufschrift soll den fehlenden Peter symbolisieren und allen Beteiligten immer wieder Bewusst machen, dass ein wichtiges Mitglied der Familie nicht teilnehmen kann.
Hildegard, Michael, Clara und Stella vereinbaren einen Termin für ein gemeinsames Gespräch. 
Flora (die Frau von Michael) ist bereit, mit den Kindern und mit Peter einen Ausflug ins Deutsche Museum zu machen, damit die anderen Familienmitglieder in Ruhe sprechen können. 
Inspiriert durch die Checkliste vereinbart die Familie feste Zeiten: Samstag von 10 – 12 Uhr, zwei Stunden Pause, die jeder individuell nutzen kann, zwischen 14 und 16 Uhr eine zweite Runde.
Falls diese Zeit nicht ausreicht, soll innerhalb von 4 Wochen ein weiteres Gespräch folgen.
Michale kann den Besprechungsraum von einem Bekannten nutzen, die Familienmitglieder finden diesen neutralen Raum sehr angenehm. Positiver Nebeneffekt, es stehen Moderationskarten und Flipchart bereit.
Gemeinsam richten die Familienmitglieder den Raum her. Die Stühle werden so positioniert, jeder kann jeden gut sehen. Wie vereinbart bekommt auch Peter einen Stuhl, darauf sind zwei Karten mit den Wörtern Peter und Papa. Mit dem bewussten Einnehmen der Plätze wird die Stimmung im Raum sehr konzentriert und ernst.
Wie vorab vereinbart bekommt jeder 3 Minuten Zeit, um seine eigene Position zu erzählen. Es soll eine konzentrierte Zeit sein, in dem einer spricht und die anderen zuhören. Es läuft eine Stoppuhr mit.
Clara beginnt:
Ich mache mir große Sorgen, ich lebe in Zürich, ich kann nicht für jede Kleinigkeit nach Hause kommen. Mein Chef fordert gerade sehr viel von mir, ich habe ein Projekt, dass wichtig für die Firma ist und dass mir großen Spaß macht. Ich sehe mich beruflich gerade an einem Punkt, für den ich lange sehr hart gearbeitet habe. Gleichzeitig fühlt es sich so an, als würde ich euch, und vor allem dich Mama, im Stich lassen. Aber was soll ich machen, wenn ich jetzt kündige, dann habe ich Angst, dieses Projekt platzt und mein Ruf als visionäre Führungskraft platzt ebenfalls. Ich kann doch nicht beides machen.  Zuhause ist noch nichts geregelt, was ist mit Patientenverfügung, was ist mit Vollmachten. Das ist wichtig und wir haben das alles nicht. – die Zeit ist um-
Bella macht weiter:
Ich sehe das Problem, und es macht mich hilflos. 
Ich habe mich viele Jahre mit mir beschäftigt und vieles in der Familie reflektiert. Ich habe eine Therapie gemacht, damit ich die Zusammenhänge besser verstehe. Ich habe das Gefühlt, viele Jahre in der Familie nur mitgelaufen zu sein. Mama hat gerade wieder zu arbeiten begonnen, dann ist sie mit mir schwanger geworden. Nach wenigen Monaten hat sie wieder zu arbeiten begonnen. So richtig Zeit war da nicht. Ich war froh, dass ich Vater damals hatte, der hat sich sehr um mich gekümmert. Aber jetzt wird er immer unklarer und ich kann das nicht ertragen. Mich belastet die Situation emotional sehr. Mein starker Vater, der mich gestützt und gefördert hat ist nicht mehr da, stattdessen ist da ein anderer Mensch. Ich verstehe das rational, aber emotional bekomme ich es nicht auf die Reihe. Mir geht es besser, wenn ich mich zurückziehe und mich mit meiner Kunst beschäftige.  – die Zeit ist um -

Hildegard hat sich während Bella gesprochen hat Notizen gemacht und blickt jetzt mit Tränen in den Augen auf die Notizen:
Ich habe gedacht, wir treffen uns heute, damit ich eine Entlastung bekomme. Ich habe Clara gesagt, ich kann nicht mehr. Ich kann keine Nacht durchschlafen. Peter hat sich verändert. Er ist anhänglich, wenn ich nur eine Stunde die Wohnung verlasse, schreit er nach mir und wird laut und ungerecht. Ich kann keinen Sport mehr machen, keinen Spaziergang, kein Yoga, kein Treffen mit Freunden. Ich soll immer um ihn rum sein. Und nicht nur, dass er mir nicht mehr hilft, muss ich jetzt auch noch all seine Aufgaben übernehmen. Ich habe mich nie um die Finanzen gekümmert. Plötzlich muss ich Rechnungen bezahlen und die Briefe vom Finanzamt öffnen, die ich nicht verstehe. Ich kann nicht mehr und ich will mir jetzt nicht auch noch vorwerfen lassen, dass ich eine schlechte Mutter bin. Ich habe so viele Jahre auf alles verzichtet, damit euer Vater seine Firma aufbauen kann, als die lief und später verkauft wurde, habe ich meinen Traum verwirklicht und mir einen Laden gemietet. Das du kurze Zeit später auf die Welt gekommen bist, hat uns sehr gefreut, aber ich wollte nicht schon wieder alles aufgeben. Das kannst du mir nicht vorwerfen, dass ist ungerecht und gemein. Und jetzt komme ich hier in den Raum und kann mir solche Vorwürfe anhören. Ich glaube es ist besser ich gehe. Vorwürfe bekomme ich auch zuhause, dafür brauche ich euch nicht.
Die Zeit ist schon lange abgelaufen, Stella sagt, so habe ich das nicht gemeint, ich soll doch offen sein. Hildegard kann die Wörter nicht mehr aufnehmen und verlässt den Raum. Clara läuft ihr nach, nach einigen Minuten kommen beide wieder in den Raum, Clara sagt, Mutter ist bereit, dem Gespräch noch eine Chance zu geben. Stella und Hildegard blicken sich lange traurig an.
Michael bedankt sich bei seiner Mutter und bei Clara und sagt, ich lese jetzt nochmal die Gesprächsregeln vor, was haltet ihr davon, wenn wir diese alle unterschreiben und alle versuchen, uns daran zu halten. Es ist schwer, aber ich denke, wie wir miteinander reden ist wichtig, damit wir eine Lösung finden können. Alle stimmen zu und unterschreiben auf dem Ausdruck.
Michael beginnt mit seinen 3 Minuten: 
Ich habe bis jetzt kein großes Problem gesehen. Mama und Papa leben jetzt schon so lange zu zweit. Klar habe ich gemerkt, dass Papa häufig was wiederholt und das Mama zunehmend gestresst wirkt. Aber ich dachte, die sagen schon was, wenn sie uns brauchen. Ich bin bereit, meinen Teil der Aufgaben zu übernehmen. Aber es muss klar sein, ich habe einen Job und eine eigene Familie, ich habe wenig Möglichkeiten. Und Flora hat klar gesagt, sie kümmert sich um ihre Eltern, ich soll mich um meine kümmern. Und da Flora auch genügend um die Ohren hat, ist das auch sehr verständlich. Ich bin schon dankbar, dass sie heute mit unseren Jungs und unseren Papa im Deutschen Museum ist, damit wir in Ruhe reden können. – Die Zeit ist um-
Michael blickt auf die Checkliste und sagt, ich glaube, jetzt ist es höchste Zeit, dass wir uns darüber unterhalten, über was wir heute sprechen wollen, was ist unser „höheres Ziel“?
Nach einer kurzen Diskussion einigen sich alle Familienmitglieder auf ein Ziel und Bella schreibt dieses auf eine Flipchart:
„Mama und Papa sollen mit unserer Unterstützung so lange wie möglich und vertretbar, in ihrer eigenen Wohnung bleiben können. Wir Kinder wollen helfen und uns willkommen fühlen“
Als Hildegard die geschrieben Worte liest und ihr Blick den Stuhl mit der Karte Peter streift muss sie wieder weinen. Alle blicken berührt zu Hildegard und zum leeren Stuhl mit den auf dem „Papa“ und „Peter“ steht. 
Michael löst sich aus dem Moment und sagt, es ist 11.50 Uhr, gute Zeit für eine Pause. 
Caro blickt auf die Checkliste und sagt, was haltet ihr davon, wenn wir uns alle Gedanken machen, was besprochen werden muss, damit wir eine realistische Chance haben, unser Ziel zu erreichen.
So wie es hier unter Phase 2 steht. 
Jeder könnte sich Moderationskarten und einen Stift in die Pause mitnehmen und wir treffen uns um 14 Uhr wieder hier und stellen unsere Karten vor.
Alle stimmen zu und gehen erschöpft in die Mittagspause.
Nach der Pause treffen sich alle im Kreis wieder, jeder stellt seine Karten vor und legt diese in die Mitte des Kreises auf den Boden.
Clara beginnt, stellt die Karten vor und sagt zu jeder Karte ein paar Wörter

  • Aufgabenverteilung, z.B. Rechnungen, Einkaufen, Beschäftigung mit Papa
  • Patientenverfügung, Vollmachen, Testament
  • Entlastung für Mama!!
  • Wer kann unterstützen?
  • Austritt von Stella aus der Familien-WhatsApp-Gruppe.

Michael macht weiter:

  • Aufgabenverteilung
  • Wie wollen wir kommunizieren?
  • Wie merken wir, dass die eigne Wohnung für Mama und Papa nicht mehr machbar ist?
  • Unterstützung, Tagespflege, Spaziergehdienst, Demenz-Tageskaffee
  • Unterstützung durch Krankenkasse, Pflegekasse, Pflegestufe??

Bella:

  • Wissen über Demenz und den Umgang damit verbessern
  • Wieder mehr Zeit mit Papa verbringen
  • Rituale? Wie können wir unseren Schmerz verarbeiten? Ich habe Angst und bin traurig!
  • Unterstützung Mama

Hildegard:

  • Vorwürfe von Bella aufarbeiten, ICH LIEBE ALLE MEINE KINDER
  • Ich habe Peter versprochen, in guten wie in schlechten Zeiten, ich will mit ihm leben, solange es geht.
  • Unterstützung bei der Körperpflege
  • Ich muss auch mal raus können.
  • Was ist, wenn ich ausfalle??

Die Familienmitglieder blicken auf den Boden, lesen die Karte, Ruhe kehrt ein. 

Michael schaut wieder auf die Checkliste und sagt, wir sollten die Themen jetzt sortieren, also zu schauen, welche Karten gehörten zusammen, weil sie dasselbe Thema abdecken.
Die Familienmitglieder stehen auf und beginnen die Karten auf Stapeln zu legen und versuchen bei jedem Thema eine Karte als Überschrift zu definieren.
Am Ende haben sie folgende Stapeln:

  • Aufgabenverteilung
  • Unterstützung im Alltag
  • Kontakt mit Versicherungen und Beratungsstellen
  • Patientenverfügung, Vollmachten …
  • Wie kommunizieren wir.
  • Wissen über Demenz

Die einzelnen Themenbereiche werden priorisiert und nacheinander besprochen. Es werden wertfrei verschiedene Lösungsoptionen gesucht und die Aufgaben verteilt. Dabei wird immer wieder die Frage gestellt, was heißt das Konkret, wer kann was bis wann erledigen.
Stella und Hildegard vereinbaren, dass sie gemeinsam zu einem Familienberater gehen, um die alten Verletzungen aufzuarbeiten.
Am Ende dieses anstrengenden Tags sind sich alle einig, es sind noch nicht alle Fragen geklärt und noch nicht alle Lösungen gefunden, aber die Familie ist auf einen guten Weg.

Im selben Jahr an Weihnachten:
Stella, Clara und Michael treffen fast gleichzeitig in dem Haus ein, in dem sie aufgewachsen sind. Magdalena, die freundliche 24 h Kraft aus der Slowakei macht die Türe auf. Hildegard ist gerade in der Küche beschäftigt, Peter hilf ihr beim Zwiebelschneiden. 
Die erwachsenen Kinder setzen sich an den alten Küchentisch und sehen ihren Eltern zu. So entspannt war die Stimmung sehr lange nicht mehr. In den letzten Monaten ist viel passiert. Clara und Stella haben beide den Online-Kurs EduKation Demenz besucht. Das Wissen über die Krankheit Demenz, die Impulse für einen bestmöglichen Umgang und der persönliche Austausch hat ihnen sehr geholfen, sowohl einen entspannteren Umgang mit der Krankheit als auch ein besseres Miteinander zu schaffen. 
Michael hat sich um Unterstützung für die Mutter gekümmert. Nach langen abwägen der Möglichkeiten hat die Familie sich entschieden eine Agentur zu suchen, die 24-h-Hilfskräfte vermittelt und hatten mit dieser Agentur großes Glück. Zwei freundliche Damen mit guten Deutschkenntnissen arbeiten und wohnen abwechselnd bei Hildegard und Peter. 
Zusätzlich geht Peter einen Tag pro Woche in eine Tagespflege. Am ersten Tag hat Stella Peter begleitet und hat sich die Einrichtung genau angesehen. Dieser Besuch hat Stella inspiriert, sich mehr mit dem Thema Kunst und Demenz zu beschäftigen. Wo sie dieses Projekt hinführt, weiß sie noch nicht, aber sie merkt, dass sie seit dieser Entdeckung einen neuen, anderen Umgang mit ihrem Vater gefunden hat. Plötzlich ist sie weniger traurig, dass ihr Vater nicht mehr der alte ist, sondern glücklich, dass sie diesen weichen und sensiblen Mann nochmal anders kennen lernen darf.